aus: Die Venezianerin
Als wäre der erste Satz so schön, dass kein zweiter mehr notwendig ist; als wäre der Klang so rein, damit er an eine andere Welt gemahnt; als wäre deine Stimme da, um mich ins Leben zu holen; als würde deine Hand mich berühren, um ...
Immer wieder las Mark diese Sätze. Nein, diesen unfertigen Satz. Diesen unvollkommenen Satz. Wer hatte ihn
geschrieben? Er hatte ihn geschrieben, er selbst. So sagte es seine Erinnerung. So sagte es seine Vernunft. Seine rechte Hand hatte die Füllfeder geführt, seine linke das Schreibheft auf dem Tischchen gehalten, das sich in derMorgensonne zu erwärmen begann. Sein Hirn hatte diese Worte gedacht und aneinander gefügt, hatte die Befehle gegeben, diese Worte in dieser Reihenfolge in seinem Heft mit den karierten Seiten fest zu halten. Ja, sie mussten fest gehalten werden, damit sie nicht so schnell wieder weg waren, wie sie gekommen sind. Aber Markhatte diese Sätze nicht geschrieben. Er hatte sie ausgeführt. Er hatte etwas ausgeführt, das von wo andersgekommen ist. Es waren nicht seine Gedanken. Es waren nicht seine Gedanken, die zu diesen Sätzen geführt haben. Jemand – Etwas? –
Manchmal
spricht Sie
meinen Namen aus
als wäre es ihr
eigener
Worte, sagte Mark vor sich hin: Ich brauche keine ersten Sätze eines Tages mehr, da es keine ersten Sätze gibt, schon lange nicht mehr, ich habe mich immer mehr mit ersten Worten begnügt.
Ich brauche erste Worte, sagte Mark jetzt bewusst vor sich hin, auf seine Stimme lauschend, hörend. Sie in sich spürend und sie vor sich wahrnehmend: Ich brauche jetzt nicht nur erste Worte, ich brauche viele Worte (nur keine letzten Worte, verschont mich damit), dachte Mark weiter. Wenn ich schon mein Leben verschwende, warum soll ich nicht auch die Worte verschwenden, die nicht gesagten, die in Mark zurückgehaltenen – weil es niemanden gab, an den Mark seine Worte hatte richten können. Schon lange nicht mehr. Du-Worte; Wir-Worte.
MEINE SPRACHE
Meine Sprache
ist mein Reservat
in dem ich
König der Tiere
bin
Unter Menschen
bin ich nicht einmal ein
bunter Hund
SPINNENNETZ
Im Spinnennetz der Netzwerke
schreibe ich meine Gedichte
auf meinem persönlichen
Computer
Im Spinnennetz der Netzwerke
schreiben wir unsere Briefe
auf unseren persönlichen
Computern
Im Spinnennetz der Netzwerke
brauchen wir sie nicht mehr abzuschicken:
wir können uns miteinander
vernetzen und elektronisch
kopulieren
aus: 68er plus: The Times They Are A-Changin'
So lebt man in einer Zeit, in der alles „post“ ist (außer der Post, die ist mittlerweile Profit orientierte Aktiengesellschaft). Die Postmoderne, ein sehr kurzes aber äußerst nachhaltiges Aufflackern von etwas, von dem niemand so richtig weiß, was es war, außer dass es die Moderne beendet hat, war so schnell vorbei, wie sie über uns hereingebrochen ist. Geblieben sind von ihr ein paar architektonische Mahnmale an eine Epoche, deren einziges Ziel es anscheinend gewesen ist, die Moderne, als die Geisteshaltung die geglaubt hat, die Welt unter Zuhilfenahme der menschlichen Vernunft erkennen und gestalten zu können, radikal zu beenden.
Wir leben auch in der Ära des Postfeminismus. Was der Postfeminismus genau sein soll, wissen vielleicht dessen Apologetinnen in gestylten Hochglanzillustrierten, die sich vielsagend und gleichzeitig bedeutungsleer „Woman“ oder dergleichen nennen und das Ideal der Powerfrau propagieren, also der Frau, die Spitzenmanagerin, Mutter und Gesellschaftsdame in einem ist und dabei auch noch umwerfend gut aussieht. Und somit nicht mehr hinterfragen, ob das einzige Lebensziel – egal ob für Mann oder Frau – es wirklich sein muss, Karriere zu machen und den Body zu stylen. Aus dem Ziel der Verweiblichung der Verhältnisse ist eine Vermännlichung der Frauen geworden, die im Kapitalismus ihren Mann stellen müssen.
Wir feuern Worte ab
die in uns
explodieren
wie Granaten
War da nicht einmal etwas anderes? Kann jemand noch die Paradigmenwechsel aufzählen, die Mann und Frau in den vergangenen 30 oder 40 Jahren mitmachen musste? Oder zumindest vor der Aufgabe gestanden war, sich damit zurecht zu finden und sich im Leben einzurichten? Beispiel Feminismus: Hatte nicht Simone de Beauvoir geschrieben, man werde nicht als Frau geboren sondern zu Frau gemacht? War da nicht die Utopie, dass mit dem Ende des Patriarchats Mann und Frau einander auf gleicher Augenhöhe begegnen und Leben und Gesellschaft partnerschaftlich gestalten können? Eine gedankliche Seifenblase, seit die Genderforschung unermüdlich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern heraus arbeitet und beweist, wie grundlegend verschieden Frauen und Männer funktionieren und ticken.
Jetzt weiß Frau, warum sie von der Venus und der Mann vom Mars ist und dass diese unterschiedliche Herkunft bewirkt, warum frau nicht einparken und man nicht zuhören kann. Und es letztlich keine Verständigung zwischen den Geschlechtern geben kann außer für Zweckgemeinschaften, die jetzt Lebensabschnittspartner heißen (nachdem das Wort „Liebe“, Leitbegriff der 60er und 70er Jahre, in den 1980ern durch das Wort „Beziehung“ ersetzt worden ist.)
Aber bieten diese Erkenntnisse aus Feminismus und Genderforschung ein neues Modell, das nach dem Aufbrechen überkommener gesellschaftlicher Muster wie der Kleinfamilie dringend gebraucht wäre?Es schaut nicht so aus. Denn aus den Versuchen kollektiver Veränderungen durch Wohngemeinschaften, Kommunen und anderer sozialer Experimente ist die Single-Gesellschaft geworden, in der die Internet-Partnerbörsen anscheinend die letzte Möglichkeit eines intergalaktischen Austausches zwischen Mars und Venus sind. Patchwork-Familien sind die neuen Herausforderungen für Familientherapeuten und Kinder, die meist nur bei einer Bezugsperson aufwachsen und denen die Verhaltensmuster des anderen Geschlechts fehlen, um selbst eine Rollenidentität entwickeln zu können.
Are times changing? Oder ist alles nur „more of the same shit“?
MOND
In den Falten
zwischen den Falten
suche ich die
Unendlichkeit
Im Geheimnis
zwischen den Geheimnissen
wachse ich
ins Firmament
Meine Zunge
zwischen den Falten
in den Geheimnissen
der Unendlichkeit
ist mein Firmament
Über dem ein Mond thront
zungenspitzennah
Ein Mond: der meine Himmel
öffnet und verschließt
ODE AN ZWEI HIMMELSKÖRPER
Sternenklar
und nebelig trüb
Horizont
in allen Weiten
Das Kreuz des Südens
unsichtbar für Bleichgesichter
nordsternverdorben im großen Wagen
die Fliegen gleich
Himmelsrichtungen
auf Lichtpunkte eindrehen
Gestirne verschwunden
satellitenverdeckt
lichtverdreckt
kein Ankerwurf im Nebelschleim
radardurchpflügt die Elemente
Gezeiten zeitenverdreht
in achtzehn Stunden um die Welt
taghell
unter der Erde Maulwurfbahnen elektrisch gestoßen
tagfinster
nachthell
Die Gestirne entschwunden
habe ich Himmelskörper gefunden
in achtzig Jahren einen umrundet
und zu kurz geblieben
den zweiten im Auge
Im Munde himmlische Kunde
nicht im Firmament entflackert
Knospen: kosmische Wirklichkeit
in Mund und Auge
weltbewegend
in Fahrt gekommen zu galaktischer Weite
Große Bärin und kleine Bärin
an Leib- und Himmelsfalten gehalten
in ewiger Form
bei jeder Drehung des Kosmos
neu gestaltet
fallen sie nach Mondbeben in meine Hände
und mein Kopf versinkt
im nahen Weltall
ZWISCHENBILANZ
Das Ziel vor Augen - schon!
nicht nah genug noch
es zu greifen
mit Schritten, weltumspannend
tret ich auf der Stelle
mit hochrecktem Kopf
und hochgezognen Schultern
der Platz zum Rühren der ist eng
so wie, gedankenflüchtig, auch mein Blick
nur manchmal in die Weite greift
im Kopf sind schmutzige Gedanken
mit Lust vermengt
und trotzbesessnen Bildern
und Bildnisse die flüchten
vor Bildern und der Bilderflut
die Fantasie kennt viele Grenzen
so mancher Strich, der jetzt gezogen wird
geht auch durch mich
so mancher Fluchtpunkt ist entschwunden
weil man die Horizonte
wieder enger zieht
die Feinde seh ich nicht und nicht die Freunde
und staunend schau ich
auf den falschen Frieden
der Lüge ist mit wahren Worten
und mir die Worte nimmt
die Boden waren
verlassen bin ich nicht und nicht alleine
auch nicht geborgen -
aufgehoben irgendwo
vielleicht für bessre Zeiten
Das Ziel vor Augen - schon!
und manchmal nah genug
es zu erahnen
obwohl ich auf der Stelle trete
mit hartem Schwanz und eingezognem Bauch
und auf Berührung warte
um mich zu entspannen
der Platz zum Rühren der ist eng
zu eng bisweilen
um sich zu erregen
im Kopf sind schmutzige Gedanken
und eitel ist die Lust
mit ihren Bildern
Die Fantasie kennt viele Grenzen
und Grenzen die wir ziehen
verlaufen zwischen uns
so mancher Fluchtpunkt ist entschwunden
weil unsre Horizonte enger liegen
dem falschen Frieden einen echten abzuringen
ist auch ein Weg zu wahren Lügen
die dann den Boden brechen wortelos
auf dem wir uns verlieren
das Ziel vor Augen - schon?
und manchmal nah genug
es zu erspüren
dann auf die Stelle treten mit Gewicht
damit der Boden tanzt
wenn schon nichts andres
GESCHLAGEN
Ich geb mich nicht geschlagen
auch wenn die Welt nach rückwärts rast
dann tret ich wenigstens noch auf der Stelle
wenn Schritte vorwärts Selbstmord sind
Ich wollte mich vernichten
weil mich mein Aufbegehrn zum Wahnsinn trieb
bis ich des Wahnsinns zwingende Methode
mir in die Venen schnitt
Ich geb mich nicht geschlagen
auch wenn ich wassertrete in der Zeit
weiß ich noch immer, dass des Wahnsinns Fluten
die anderen ertränken
Ich habe Kraft, den Mut zu lecken
ich Zauderer mit langem Atem
sowie die andern hecheln, halt ich inne
um Platz zu schaffen in mir selbst
Ich geb mich nicht geschlagen
weil mich mein Aufbegehrn zum Wahnsinn trieb
drum kann ich klarer mich entsinnen
der Vene, die mir das verriet
Ich geb mich nicht geschlagen
weil Schläge die Methode sind
und trete tapfer auf den Stellen
wo andere sich selbst verließen
SCHWAMM DRÜBER
Ich bin ein Schwamm
der saugt
Lebensgeschichten
sauge ich auf
und ertrinke
in fremden Verwundungen
Ich fülle mich
wenn andere sich leeren
und bin selbst
längst gesättigt
Vollgesoffen
tropfe ich
vor mich hin
und niemand
der mich ausdrückt
Ernst:
Weißt du noch, wie wir …
Ernestine:
Ja.
Ernst:
Was?
Ernestine:
Ich weiß noch, wie wir …
Ernst:
Aber ich hab doch gar nicht gesagt, wie wir …
Ernestine:
Ich weiß noch alles, wie wir ... Und was wir ... Und wann wir was und wie ...
(Pause)
Ernst:
Wärst du gerne einmal auf dem Opernball gewesen? Mit mir?
Ernestine:
Ich war einmal auf dem Opernball.
Ernst:
Du warst ...
Ernestine:
Ja. Ohne dich.
Ernst:
Das müsste ich aber wissen. Wir sind seit Ewigkeiten verheiratet.
Ernestine:
Ja, seit Ewigkeiten. Seit 47 Jahren.
Ernst:
Seit 47 Jahren. Du weißt alles von mir. Ich weiß alles vor dir. Wie kannst du auf dem Opernball gewesen sein, ohne dass ich ..?
Ernestine:
Das war vor dir.
Ernst:
Vor mehr als 47 Jahren. Und das hast du mir nie gesagt. In 47 Jahren.
Ernestine:
Nein.
Ernst:
Wieso?
Ernestine:
So.
Ernst:
Wieso so?
Ernestine:
Einfach so, so.
Ernst:
Und du hast mir gesagt, du hast mir alles erzählt von deinem Leben. Ein Leben lang weiß ich von deinem Leben. Glaub ich. Und du hast Geheimnisse. Vor mir.
Ernestine:
Man kann eben nie ganz sicher sein.
Sie nimmt seine Hand und lächelt verschmitzt.
ABLAUFDATUM
Ablaufdatum: nach Bedarf
klarhalten für nachher
best konsumierbar: see top
Vielbeschäftigter Geschäftsmann sucht:
für den Verbrauch bestimmte treue Plastikfrau
klarsichtverschweisst
top konsumierbar
solange klar
auch nachher: siehe oben
Frischgehaltener Kuschelbär
für den Verbrauch bestimmt bis:
Ablaufdatum abgelaufen
leicht konsumierbar
sucht Kuschelfee solange klar
siehe oben
Beziehungskiste frischgehalten
in Klarsichtfolie plastikverschweisst
für Ablaufdatum bestimmt bis:
best before:
solange klar konsumierbar
see top
Sehnsucht
frischgehalten solange klar
auch nachher konsumierbar
sucht Ewigkeit gegen Verfall
Ablaufdatum: siehe oben
ARSCHLOCH
Wir tarnen vergiftete
Worte mit
vernünftigem Klang
und verstecken die Freude
über den Treffer
hinter Abgeklärtheit
Wir beißen uns zärtlich
Löcher in die Krusten
unserer Seelen und vergehen
uns an den Wunden
mit Psychologie
Wir quälen den andern
mit Lustlosigkeit und verbergen
die eigene Lust als
Sexualität
Wir tarnen vergiftete Worte
mit vernünftigen Klang
und haben verlernt zu sagen:
Du Arschloch!
aus: Es reicht oder:
Wenn man einen Politiker beim Wort nimmt, muss man dessen Konsequenzen auch selbst leben
"Es reicht" lässt sich im Alltag einfach so dahin sagen. Aber wenn diese
Formulierung zu einer
Regierungsbankrotterklärung geworden ist, kann man auch als einfacher
Staatsbürger darüber ins
Grübeln kommen. Wenn es denen schon gereicht hat, denke ich mir: Mir reicht es
auch. Und zwar
endgültig.
Da ich von keiner politischen Bühne abtreten kann, trete ich aus diesem Land aus. Ich entziehe mich diesem Ritual der Verhinderung durch Nicht-Teilnahme, also durch geografische, politische, soziale und seelische Abgrenzung. Ich wandere aus. Ich gehe auf die Insel.
Wenn wenigstens im
Herbst welke
Blätter
von den Häusern
fielen
Statt mir abends in der ZiB die Katastrophen im Kleinen (österreichische Politik) und im Großen (die Welt als solches, die in den ORF-Nachrichten auch vorkommt) anzuschauen, werde ich vor der Casa Maria auf den Steinen sitzen und dem Sonnenuntergang zusehen. Und habe ich eine Schreib- oder sonstige Krise, gehe ich von La Calera, wo ich wohnen werde, schnell einmal hinauf zum Aussichtspunkt La Merica 600 m über den Meeresspiegel, oder mache einen Ausflug in den Lorbeerurwald rund um den Garajonay.
Von nichts leben kann ich dort auch. Besser als hier, weil ich weniger warmes Gewand brauchen werde und keine Unsummen fürs Heizen ausgeben muss.
Eigentlich bin ich diesem „Es reicht!“-Politiker dankbar dafür, dass er dieses
österreichische Dilemma
auch für mich so auf den Punkt gebracht hat. Damit hat er meine vergeblichen
Versuche, Subventionen
oder Sponsorgelder für Theaterproduktionen aufzutreiben, von der Ebene des
persönlichen Scheiterns
auf das staatstragende österreichische Grundmuster des Verhinderns erhoben.
Das ermöglicht mir, mich
nicht kleinlaut davon stehlen zu müssen, sondern mit erhobenem Haupt zu gehen
und mir zu denken: Es
gibt auch noch anderes, als mir hier vergeblich den Arsch aufzureißen, weil
ich irgendetwas bewegen
und erreichen wollte. Und dieses Andere hat (hoffentlich) mehr Lebensqualität
als die grauen Monate in
Wien und Sonntage mit Live-Spielen der österreichischen Bundesliga.
Wer, so wie ich, in den 70er- und -80er-Jahren in einem ständigen Spagat
zwischen Journalismus und
Kunst gelebt hat, hat schon einen an sich unmöglichen Grenzgang versucht: Den
Theaterkritiker als
erweiterten Dramaturgen hat nur Lessing so verstanden, nie die österreichische
Theaterlandschaft und
schon gar nicht die, die sich Theaterkritiker nennen. Sie sind (mit wenigen
Ausnahmen) schreiberische
Selbstdarsteller, die seit etlichen Jahren auch nur mehr das wahrnehmen
wollen, was in ihrem Blickfeld
liegt. So genanntes „freies Theater“ oder Off-Theater kommt schon lange nicht
mehr auf den
„Kulturseiten“ der österreichischen Tageszeitungen vor. Und wenn, dann nur,
wenn die jeweilige Bühne
zu den persönlichen Spielwiesen des jeweiligen Kritikers oder der jeweiligen Kritikerin gehört.
Dabei war gerade das Aufkommen dieser Theaterszene, die erstmals den großen, von der öffentlichen Hand finanzierten Bühnen etwas Anderes, Neues entgegenzusetzen hatte, eines der spannenden gesellschaftlichen Felder, an denen sich die Offenheit einer Gesellschaft im Umbruch hatte (hätte!) beweisen können. Nach den literarischen Aufbrüchen der Wiener Gruppe und den brachialen Grenzüberschreitungen des Wiener Aktionismus hatte sich eine Theaterszene entwickelt, die sich nicht mehr vorschreiben lassen wollte, was sie wo und wie aufführen musste. Man spielte in Kaffeehäusern oder adaptierte alte Kinos fürs Theater und spielte auch Brecht, obwohl das die Kritikergötter Hans Weigel und Friedrich Torberg für Österreich verboten hatten.
Conny Hannes Meyer, Dieter Haspel, Hans Gratzer, Erwin Piplits und später auch Hanna Tomek hießen die wichtigsten Protagonisten dieser neuen, subversiven Theaterwelle (nachdem die Stadt Wien das kommunistische Scala-Theater, an dem auch Brecht inszenierte, ausgehungert und abgerissen hatte). Sie hatten eine Bewegung los getreten, der viele andere gefolgt waren und damit plötzlich etwas geschaffen, an dem man nicht mehr vorbei sehen konnte: Eine Theater-Gegenbewegung mit künstlerischem und Publikumspotential.
Wer, wie ich, von der zweiten Phase dieser Entwicklung bis zu deren Ende dabei war, hat auch die Strategien der tödlichen kulturpolitischen Umarmung hautnah beobachten können. Zuerst war das Bemühen eines Kulturstadtrates Mrkvicka, der mit der Szene wollte und eine Jury für diesen neuen Theaterbereich im Kulturamt eingerichtet hat (der unter anderem auch ich angehörte). Aber dem gut gemeinten Versuch, alles mit der sprichwörtlichen Gießkanne sprießen zu lassen, war ein anderer botanischer Versuch in Form von Kulturstadträtin Ursula Pasterk gefolgt.
Der Aufbruch der 1960er- und 1970er-Jahre war vorbei und es musste alles wieder in von oben geregelte Bahnen gelenkt werden. Also war Pasterks Anspruch, die Szene „vom Wildwuchs zu befreien“, wie sie es selbst formuliert hatte. Es wurde ordentlich geteilt und geherrscht, die Braven bekamen Conny Hannes Meyers ehemalige „Komödianten“ im Künstlerhaus und Dieters Haspels ehemaliges „Ensemble Theater“ im Konzerthauskeller in Form eines von der Stadt indirekt verwalteten Konstrukts, das fortan „die theater“ hieß (und jetzt nur mehr „brut“ heißt). Die anderen, die sich nach Musils Diktum durch schlechtes Benehmen und Anmaßung hervorgetan hatten, wurden dementsprechend von der „vorsichtig beschneidenden Bürokratie“ gründlich ausgemistet.
Weil man Aufsässiges von unten unter Kontrolle haben wollte, es aber im österreichischen Theater immer auch einen Hang zu Aufgeregtheit gibt, die nichts mit den künstlerischen Produktionen selbst zu tun hat, setzte man einen Aufreger in Form von Claus Peymann in die Burg und somit an die oberste Spitze der heimischen Theaterhierarchie. Künstlich stilisierte und von Außenstehenden als lächerliche, provinzielle Klamotten empfundene Skandale lenkten so vom eigentlichen Skandal, dem Zerstören einer von unten gewachsenen Theaterlandschaft, kongenial ab.
Um so mehr Dinge um uns
desto weniger Leben
in uns
Kein Wunder, dass in dieser Ära auch die Wiener Festwochen einer radikalen
Wandlung unterzogen
wurden. Was vorher eine wichtige Produktionsstätte für Wiener Theater(gruppen)
war, die sich oft nur
durch die Teilnahme an den Wiener Festwochen ihr Weiterbestehen sichern
konnten, wurde auch von
diesem Wildwuchs gründlich gesäubert.
Und so sind diese Festwochen, nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet als
kulturelles Lebenszeichen
einer Stadt, die daran war, sich (wieder) zu finden, in dem sie sich selbst
kulturell feiert und ihre
künstlerischen Leistungen präsentiert, zu einem reinen Einkaufsfestival
verkommen, in dem Freie
Gruppe schon gar nichts mehr zu suchen haben und Wiener Theater größtenteils
nur in Koproduktionen
auf Staatstheaterebene stattfindet. Was noch ein bisschen dahin dümpeln will
und darf, kann in Form
der Bezirksfestwochen an besseren Grätzelfesten teilnehmen.
Die Theaterreform des jetzigen Kulturstadtrats Maillath-Pokorny nennt sich nur so, sie ist eigentlich eine Pensionsreform: Man konnte die biologische Lösung nicht erwarten, die die alten Haudegen, die noch immer ihre so genannten „Mittelbühnen“ bespielten, in die Pension geschickt hätte, sondern schickte sie mittels „Umstrukturierung“ in die Frühpension. Dieter Haspel wird demnächst aufhören, Theater mbH und Gruppe 80 sind Vergangenheit, deren Betreiber und künstlerisches Personal Fälle für den Pensionsfond oder das AMS.
Irgendwann reicht es. Jetzt. Jetzt ist die Frustgrenze ebenso erreicht wie die Existenzgrenze. Also gehe ich. Und helfe dabei zwei Kollegen. Ein ehemaliger Burgschauspieler, der in der freien Szene verhungert, wird ebenso als Untermieter in meiner Wohnung ein Bleibe finden wie ein arrivierter und jetzt dauerarbeitsloser Schauspieler der frühpensionierten „Gruppe 80“. Er hat sich kürzlich scheiden lassen müssen, damit er mehr als 300,- Euro Notstandshilfe bekommt und hält sich mit dem Ausmalen von Wohnungen über Wasser.
Zwei von vielen Künstlerexistenzen nach der Wiener Theaterpensionsreform.
Mit Axtschlägen ins Geläuf die bis ins
Hirn dröhnten wollten sie dich
fällen weil du keine Eiche
bist sondern von woanders kommst
Pinien kennen sie nicht und nicht die Zikaden die
Schnurren
machen im Kopf
wem keine Mutterbrust die Sehnsucht
gestillt
den wird nie eine
Frauenbrust trösten
Wieso lässt du dich nicht fällen
und fallen
damit Ruhe ist? Musst
in den Turm wachsen um wahre
Größe zu
zeigen? Und hast nie eine Pinie
gerochen
In mein Geläuf haben sie geschlagen mit
der Mutterbrust und ich habe noch keine
Wurzeln gehabt aber
ich kenne die Sehnsucht
der Zikaden
(Schlägt jemand gegen den
Stamm unterbrechen sie ihren
Erlösungsgesang
auch sie kennen die
Angst
deswegen singen
sie im Duft der Pinien)
Nicht immer verstehe ich was du
gedichten willst aber ich
weiß um dein Schreiben: Reime
finden damit irgendetwas
im Einklang
ist und Verse bauen für eine
Ordnung
die du nicht hast
Die ich nicht
habe die es nicht
gibt
wem eine Mutterbrust ins
Gesicht geschlagen
und wen die
Mutterbrust verdursten lässt sucht
Einklang in den
Worten und Lust im Dythirambus
Erlösung
im Distichon und Halt
im menschenfreien Raum
Wer kann den Rhythmus der Zikaden
fassen und seinen Reim darauf
machen? Seit S. Freud hat das Leid
Wort und Geschichten die ich nicht zu reimen
vermag worauf ich mir lange keinen Reim
machen konnte weil nichts im
Einklang
ist
Ich reime nicht weil ich um meine
Fassung ringe nicht um
Form
Versuche der Schreinerstochter
unter den Rock zu schauen, Fritz da siehst du einen neuen
Einklang da schlägt nicht mehr die
Axt ins Geläuf und brauchst du keine Rhythmusordnung um den
Kopf zu schützen mit Hebungen und
Senkungen
da fährt der Jambus
ins Geäst und trotzdem singen die
Zikaden Schnurren ins Ohr und
will der Rhythmus sich befreien und sich heben und senken
im Versmaß der Erlösung
Wem keine Mutterbrust die Sehnsucht
gestillt
den wird nie eine
Frauenbrust erlösen
Nein, ich reime
nicht